Eine gute Politik der kleinen Schritte und leisen Töne

Wolfgang Gust

Wer zu den Pionieren wichtiger Vorhaben wie der Demokratisierung eines in dieser Hinsicht rückständigen Landes zählt und dafür Tabus brechen muß, der gerät leicht zwischen die Fronten. So geschah es dem türkischen Professor Halil Berktay, der an der renommierten Istanbuler Sabanci-Universität Geschichte lehrt und einer der ersten Intellektuellen seines Landes war, der den Völkermord an den Armeniern 1915/16 in der Türkei thematisierte, den die Regierung noch immer leugnet.

Am 13. Mai 2010 hatte der Historiker in einer der wenigen liberalen türkischen Tageszeitungen – Taraf – auf die Frage eines Doktoranden, ob in der Türkei ein Historiker frei arbeiten könne oder nicht geantwortet: ja und nein. Die Freiheit in seinem Lande sei so halbgar wie die Demokratie, die offizielle Ideologie der Genozidleugnung hingegen bestens etabliert. Das türkische Unterrichtssystem sei eher preußisch organisiert, auf allen Ebenen herrsche in größtem Maße Gehorsam und Konformismus. Da sei kein Platz für Intelligenz, Ehrlichkeit und Klarheit bei den Studenten und jungen Universitätsabsolventen. Man lehre nicht, sondern formiere. Der Geist würde erschlagen und der Zement für all das sei der Nationalismus.

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Die Obama Regierung muss einen neuen Weg in Bezug auf die Türkei und den Völkermord an den Armeniern einschlagen

Taner Akçam

Was ist der Unterschied zwischen der Obama- und der Busch-Regierung? Nichts, so scheint es, wenn man die Geschichte und die Anerkennung historischer Missetaten anschaut. In beiden Fällen ist es dieselbe alte Leier.

Das Weiße Haus scheint an der Ablehnung des Beschlusses 252 festzuhalten, welcher aber vom Gremium des Auswärtigen Amtes in der letzten Woche (4. März) genehmigt wurde; ein ungewöhnlicher Schritt in der langen Geschichte der gescheiterten Beschlüsse in der Anerkennung des Armenischen Völkermordes. Nach Parlamentarischen Anhörungen, Resolutionen in Unter-Ausschüssen, kühnen Wahlkampfversprechen und unter der Hand gegebenen Zusicherungen kommt immer dasselbe heraus: sobald die Türkei die Muskeln spielen lässt und öffentlich droht fühlen sich die Amerikaner in ihren Interessen eingeschüchtert. Kongressabgeordnete kündigen ihren Rücktritt an, nicht, weil sie nicht glauben, dass die Armenier Opfer des Völkermordes waren, sondern weil ein zu großes Interesse am Mittleren Osten besteht, das sonst in Gefahr gerät.

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Open Letter to Prime Minister Recep Tayyip Erdoğan and Vice-Prime Minister Bülent Arınç

Taner Akçam

There is something I have difficulty understanding. You, who have put an end to ninety-five years of the “there are no Kurds, they’re just Turks who wander around the mountains” lying policies by the state; who have removed the military’s guardianship over politics, the same military that since the beginning of this Republic has decided who lived and who died and that initiated coups at the drop of a hat; how is it that you who have made such important inroads into this democracy insist on continuing the ninety-five years of denialist policies when it comes to the subject of 1915?

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Rede von Wolfgang Gust auf der Gedenkfeier in der Paulskirche am 24. April 2009

Euer Eminenz, Exzellenzen, Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe armenische Freunde.

Ich möchte Ihnen sehr herzlich für die Einladung danken, gerade an diesem Ort zu Ihnen sprechen zu dürfen.

Der 24. April ist für Sie, die Armenier und Deutsch-Armenier unter Ihnen, der wohl schmerzhafteste Tag in der Geschichte Ihres Volkes, denn am 24. April 1915 wurde die armenische Elite im damaligen Osmanischen Reichs ausgelöscht. Dieser Tag ist heute ein Symbol für den ersten Völkermord auf europäischem Boden in der Neuzeit. Wir gedenken dieses furchtbaren Ereignisses hier in der Frankfurter Paulskirche, einem symbolträchtigen Ort der deutschen Geschichte. Denn hier begann und endete der einzige Versuch des deutschen Volkes, aus eigener Kraft eine moderne Demokratie aufzubauen und Freiheitsrechte für alle Bürger zu garantieren.

Das historische Scheitern der deutschen Demokraten in den Jahren 1848 bis 1851 und die Vernichtung des armenischen Volkes in der Türkei 1915 und 1916 stehen in einem direkten Zusammenhang: Weder mit einem Bündnispartner der Entente noch mit einem Deutschland, wie es 1848 geplant war und wir es heute haben, hätte der Völkermord an den Armeniern stattfinden können. Und ohne potenten Bündnispartner wäre das Osmanische Reich mit diesem barbarischen Schritt höchste Gefahr gelaufen, annektiert und aufgeteilt zu werden. Die Pläne dafür lagen in den Schubläden der Großmächte. Nur mit dem autoritären deutschen Kaiserreich als militärischem Garanten konnte das jungtürkische Regime im ersten Weltkrieg den Genozid wagen.

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