Die Obama Regierung muss einen neuen Weg in Bezug auf die Türkei und den Völkermord an den Armeniern einschlagen

Taner Akçam

Was ist der Unterschied zwischen der Obama- und der Busch-Regierung? Nichts, so scheint es, wenn man die Geschichte und die Anerkennung historischer Missetaten anschaut. In beiden Fällen ist es dieselbe alte Leier.

Das Weiße Haus scheint an der Ablehnung des Beschlusses 252 festzuhalten, welcher aber vom Gremium des Auswärtigen Amtes in der letzten Woche (4. März) genehmigt wurde; ein ungewöhnlicher Schritt in der langen Geschichte der gescheiterten Beschlüsse in der Anerkennung des Armenischen Völkermordes. Nach Parlamentarischen Anhörungen, Resolutionen in Unter-Ausschüssen, kühnen Wahlkampfversprechen und unter der Hand gegebenen Zusicherungen kommt immer dasselbe heraus: sobald die Türkei die Muskeln spielen lässt und öffentlich droht fühlen sich die Amerikaner in ihren Interessen eingeschüchtert. Kongressabgeordnete kündigen ihren Rücktritt an, nicht, weil sie nicht glauben, dass die Armenier Opfer des Völkermordes waren, sondern weil ein zu großes Interesse am Mittleren Osten besteht, das sonst in Gefahr gerät.

Wie ein altes Lied sagt, ist die Auseinandersetzung mit der Geschichte eher eine moralische Verpflichtung und beruht weniger auf der Einsicht, dass die Auseinandersetzung mit den Fehlern der Vergangenheit im wahren nationalen Interesse einer Region liegt. Zwei Argumente scheinen hier einen ewigen Konflikt zu bilden: Nationale Sicherheit gegen Verantwortungsbewusstsein – oder mit anderen Worten: Realisten gegen moralische Fundamentalisten.

Türkische Realisten sind überaus beunruhigt über ihre Nationale Sicherheit. Ein türkisches Gericht verurteilte im Jahre 2007 zwei türkisch-armenische Journalisten, Arat Dink, der Sohn des ermordeten Journalisten Hrant Dink und Sarkis Seropyan, für den Gebrauch des Wortes „Genocide“ (Völkermord) und bestrafte sie zu jeweils einem Jahr Gefängnis. Das türkische Gericht erklärte: „In der Türkei oder in anderen Ländern über Völkermord zu sprechen, beeinträchtigt in unzulässiger Weise die Nationale Sicherheit und das Nationale Interesse“. In dem Beschluss heißt es ferner, dass die Republik Türkei sich unter „einer feindlichen diplomatischen Belagerung [befindet] bestehend aus Völkermord Resolution“. Die Akzeptanz dieses Anspruchs mag in den zukünftigen Jahrhunderten zu einer Hinterfragung des Hoheitsrechts der Republik Türkei führen …..“ Wegen dieser Nationalen Sicherheitsbedenken hat das Gericht erklärt, dass schon allein das Sprechen über den Völkermord in 1915 ungeschützt ist. Weiter vertritt das Gericht die Auffassung, dass „der Gebrauch dieser Freiheit begrenzt werden kann in Übereinstimmung mit dem Ziel wie z.B. dem Schutz der Nationalen Sicherheit, der Öffentliche Ordnung oder der Öffentlichen Sicherheit“. Die Realisten hier in den USA sollten begreifen, dass ihre Aktionen mit den undemokratischen Beschlüssen der türkischen Gerichte übereinstimmen.

Seit Jahrzehnten behandelt der türkische Staat jede Anerkennung des Völkermordes von 1915 als einen Anschlag auf seine Nationale Sicherheit. Der Staat organisiert Hexenjagden auf Intellektuelle und Wissenschaftler, welche in irgendeiner Weise Anspielungen auf dieses Ereignis machen. Orhan Pamuk, Autor und Nobel Preis-Träger und Hrant Dink wurden beschuldigt und von Gericht zu Gericht gezerrt. Hrant Dink’s Ermordung im Jahr 2007 war ein schicksalhaftes Resultat dieser Kampagne.

Die US Regierung und der Kongress müssen anerkennen, dass die Türkei ihre Nationale Sicherheit vorschiebt, um die Meinungsfreiheit, welches ein demokratisches Recht ist, einzuschränken. Wenn wir auf die hier diskutierte Geschichte zurückkehren, sollte daran erinnert werden, dass der armenische Anspruch auf Gleichheit und Gesellschaftliche Reformen in den auslaufenden Jahren des Ottomanischen Reiches ebenfalls eine Bedrohung des Staates behandelt wurde. Der gebetsmühlenartige Bezug auf die Nationale Sicherheit wurde zu einem Vorwand für Massaker und Vertreibung. Die heutige Forderung nach einer wahrheitsgemäßen Darstellung der Geschichte wird weiterhin in gleicher Art und Weise behandelt: als ein Sicherheitsproblem!

Die Ironie ist, dass die Kriminalisierung der geschichtlichen Untersuchung im Namen der Nationalen Sicherheit nicht nur ein Hindernis für die Demokratie darstellt, sondern auch direkt zu wirklichen Sicherheitsproblemen für die Türkei und der gesamten Region führt. Diese „selbsterfüllende Prophezeiung“ zeigt sich im Armenischen Völkermord der Vergangenheit und in dem heutigen kurdischen Problem. Das heutige kurdische Problem, das durch den Wunsch nach Demokratie und gesellschaftlichen Reformen entstand, wurde ebenfalls wurden als eine Gefahr für die Sicherheit eingestuft! Solange die Türkei fortfährt, moralische Grundlagen und Nationale Sicherheit als sich gegenseitig ausschließend auffasst, und, sich – aus Gründen der Nationalen Sicherheit – weigert, sich mit seiner Vergangenheit auseinander zu setzen, solange eine aufrichtige, historische Aufarbeitung als eine Gefährdung der Nationale Sicherheit betrachtet wird, bleiben die internationale Probleme bestehen.

Wer den Mittleren Osten kennt, der erkennt leicht, dass historische Ungerechtigkeiten und fortbestehendes Leugnen dieser Vergehen durch den einen oder anderen Staat oder ethnisch-religiösen Gruppierungen das hauptsächliche Hindernis sind. Geschichtliche und historische Ungerechtigkeiten sind nicht lediglich akademische Belange der Vergangenheit, sondern die Vergangenheit IST DIE Gegenwart im Mittleren Osten.

Die US-Regierung muss ihre Politik ändern und den Völkermord an den Armeniern anerkennen und neu einschätzen, was die Sicherheit der Türkei begründet. Das französische Konzept des neunzehnten Jahrhunderts von „Bon pour l’Orient“ [gut genug für den Orient] legitimierte Frankreichs Kolonialismus und lieferte die Begründung für die Erniedrigung der Länder, die sie kolonisiert und die Taten, die sie dort verübt hatten. Amerika muss sich selbst befreien von dieser klassischen Politik der kolonialen Bevormundung. Wenn Demokratie und der Werdegang der Geschichte für Amerika gültig ist, dann sollte dasselbe auch für die Türkei gelten.

Der Kongress und das Weiße Haus sollten misstrauisch gegenüber Behauptungen sein, wonach eine Anerkennung des Völkermords aus nationalem Interesse abzulehnen sei. Solche Argumente entsprechen nicht den amerikanischen Werten und legitimieren die Kampagne des türkischen Staates. Wir müssen anfangen, ein neues Lied zu singen, dass nicht die autoritären und leugnenden Regime des Mittleren Ostens unterstützt. Sicherheit in der Türkei und in den USA muss die bestehende Geschichte und Demokratie mit einbeziehen.

Obama kam nach Washington um Änderungen durchzuführen. Meine Frage ist: Was ist der Unterschied zwischen der Obama- und der Busch-Regierung? Könnte dies die Antwort sein: Annahme der Völkermord-Resolution und die Förderung der Demokratie im Mittleren Osten?

Taner Akçam ist Professor der Geschichte und Inhaber des Lehrstuhls Kaloosdian/Mugar über Studien zum Armenischen Völkermord am „Strassler Center for Holocaust and Genocide“ (Zentrum für Studien über Judenvernichtung und Völkermord) an der Clark Univsersität in Worcester/MA. Er ist nicht nur eine maßgebliche internationale Autorität auf diesem Gebiet, sondern auch der Autor der Schrift: „A Shameful Act: the Armenian Genocide and Turkish Reponsibility“ (übers.: Die schändliche Tat: der Armenische Völkermord und die Türkische Verantwortung). Er ist der Koordinator eines Workshops an der Clark Universität zur Untersuchung des „State oft the Art of Armenian Genocide Research“ am 8. April 2010 (übers.: „Moderne Untersuchungen des Armenischen Völkermordes“).

Übersetzt aus: History News Network. Veröffentlicht am 9. März 2010)