Wolfgang Gust
Wer zu den Pionieren wichtiger Vorhaben wie der Demokratisierung eines in dieser Hinsicht rückständigen Landes zählt und dafür Tabus brechen muß, der gerät leicht zwischen die Fronten. So geschah es dem türkischen Professor Halil Berktay, der an der renommierten Istanbuler Sabanci-Universität Geschichte lehrt und einer der ersten Intellektuellen seines Landes war, der den Völkermord an den Armeniern 1915/16 in der Türkei thematisierte, den die Regierung noch immer leugnet.
Am 13. Mai 2010 hatte der Historiker in einer der wenigen liberalen türkischen Tageszeitungen – Taraf – auf die Frage eines Doktoranden, ob in der Türkei ein Historiker frei arbeiten könne oder nicht geantwortet: ja und nein. Die Freiheit in seinem Lande sei so halbgar wie die Demokratie, die offizielle Ideologie der Genozidleugnung hingegen bestens etabliert. Das türkische Unterrichtssystem sei eher preußisch organisiert, auf allen Ebenen herrsche in größtem Maße Gehorsam und Konformismus. Da sei kein Platz für Intelligenz, Ehrlichkeit und Klarheit bei den Studenten und jungen Universitätsabsolventen. Man lehre nicht, sondern formiere. Der Geist würde erschlagen und der Zement für all das sei der Nationalismus.