Wie Altkanzler Schröder die türkische Genozidleugnung verdeutscht

Arthur Manukian

Redewendungen und Sprichwörter haben an sich etwas zutiefst Menschliches. Sie haben oft Lebenserfahrungen und Einsichten von Generationen konserviert. Meistens legen sie auch eine unbefangene Offenheit zu Tage, die man ansonsten – der Political Correctness verpflichtet – eher zu meiden pflegt. Ein armenisches Sprichwort besagt etwa: Wenn man einen kleinen Rüden neben einem großen Köter anbindet, lernt dieser binnen kurzem entweder bellen oder beißen.

Abgesehen davon, dass einem Vierbeiner – rein biologisch gesehen – beide Vorgänge durchaus liegen, führt das Sprichwort uns etwas vor Augen, das auch der menschlichen Gattung nicht ganz fremd ist. Überträgt man die armenische Redensart ins Deutsche, so könnte man mit einen Sprichwort vorlieb nehmen, das ausgefeilt diplomatisch anzeigt: Schlechter Umgang verdirbt gute Sitten. Allerdings muss man dabei in der Tat davon ausgehen, dass gute Sitten bereits vorhanden sind oder wenigstens irgendwann mal waren. Wie dem auch sei, seit wenigen Wochen ist mein persönliches Vertrauen in die konservierte Lebensweisheit der Sprichwörter und Redensarten exorbitant gestiegen. Und damit hat es folgende Bewandtnis.

Gerhard Schröders Interview an die PAZ

Der Ex-Bundeskanzler und Sozialdemokrat – derzeit „Petroleum- und Gazprom-Lobbyist“ – Gerhard Schröder, der einst den politischen Wunsch geäußert hatte, aus Deutschland eine mittlere Großmacht zu machen, hat am 26. Februar 2011 der „Peiner Allgemeinen Zeitung“ ein Interview gegeben, das vielen bereits recht gut bekannt sein dürfte. Unter der ansprechenden, politisch aber mittlerweile ziemlich abgenutzten Überschrift „Für eine globale Rolle braucht Europa die Türkei“, machte der peinische Artikel seine Ehrenrunde durch die Republik. Schröder lobte im Interview die dynamische, wirtschaftliche Entwicklung der Türkei, hob ihre Schlüsselposition zwischen Orient und Okzident hervor, verwies auf die Entwicklung der Zivilgesellschaft in der Türkei, aber vor allen Dingen leistete er Lobbyarbeit für seinen „persönlichen Freund“ Recep Tayyip Erdogan, der für manche ein gemäßigter Islamist, für andere islamistischer Demokrat ist. Für Gerhard Schröder ein lupenreiner Anhänger der Demokratie? So weit ging der Altkanzler diesmal – wie seinerseits bei Putin – doch nicht. Dem türkischen Ministerpräsidenten bescheinigte er lediglich die allerehrbarsten Absichten. Schröder mahnte deswegen die widerspenstigen Europäer, endlich zu einer ernsthaften Partnerschaft mit der Türkei auf allen Ebenen. Als Außenbeauftragten für die Europäische Union hat er, so las man im Interview die Wünsche des „Genossen der Bosse“, seinen Parteifreund Frank-Walter Steinmeier auserkoren. Und er Altkanzler plant viel weitergehender. Über seine Vision, die EU als globale Macht zwischen USA und China zu etablieren, hat er an anderen Stellen bereits doziert. Der Plan ist einfach und irgendwie genial zugleich: Mit der Türkei als vollständigem Mitglied und Russland als assoziiertem Partner könnte die EU eine Großmacht, möglicherweise auch Weltmacht werden. Für den Wirtschaftslobbyisten Schröder heißt das im Klartext: Um eine globale Rolle zu spielen, braucht die EU das dynamische türkischen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum und die enormen russischen Rohstoffvorkommen, die von Europäern direkt an den Quellen ausgebeutet werden könnten. Was aus Deutschland unter Gerhard Schröder nicht werden konnte oder durfte, kann aus der EU vielleicht noch werden.

Die PR-Aktion des Altkanzlers für Erdogan, die im Vorfeld der CEBIT stattfand, auf der die Türkei das Gastland war, wäre beinahe gelungen. Doch es gab da eine recht missliche Angelegenheit: Der Umgang der Türkei mit dem Völkermord an den Armeniern. Doch der gewiefte Gerhard Schröder wusste auch dafür eine Lösung. Er reduzierte den Völkermord auf „Vorgänge“, unterstellte „manchen“, die darüber sprechen, sie würden ihn mit dem Holocaust „gleichsetzen“, warf ihnen dabei vor, den Völkermord an den europäischen Juden zu „verharmlosen“ und forderte „gerade“ die „Deutschen“ dazu auf, zu „widersprechen“. Es waren überaus infame Behauptungen, die zwar weder eines Altkanzlers noch irgendeiner anderen Person würdig waren, aber sie dienten ihrem Endzweck: Der Türkei sollte mit allen Mitteln zu einem neuen Ansehen in Deutschland verholfen werden. Doch genau das verfehlte der Altkanzler. Gerhard Schröder sprach sich für die Relativierung des türkischen Völkermords an den Armeniern aus, indem er sich des schmerzlichsten Ereignisses der deutschen Geschichte zynisch bediente.

Der Völkermord an den europäischen Juden – Inbegriff eines beispiellosen Zivilisationsbruches – muss offenbar herhalten, um zum einen diejenigen sprachlos und letztlich mundtot zu machen, die in Deutschland über den Völkermord an den Armeniern sprechen, zum anderen aber soll die türkische Geschichte durch die Relativierung des Verbrechens an den osmanischen Armeniern den Deutschen als lupenrein vorgeführt werden. Und die Armenier haben immer gedacht, dass gerade Deutschland imstande wäre, einen besonderen Beitrag zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern zu leisten. Und dass ehemalige und gegenwärtige führende deutsche Politiker auf dem Hintergrund der deutschen Geschichte der Türkei und ihren türkischen Freunden als Beispiel dafür dienen können, wie eine redliche Auseinadersetzung mit der eigenen Geschichte von statten gehen kann. Doch man sehe und staune: Der Lernprozess zwischen deutschen und türkischen Prominenten verläuft hier und da ganz verkehrt. Schlechter Umgang verdirbt die Sitten? Offenbar ganz gewaltig.

Von Sprichwörtern bin ich jedenfalls mächtig angetan. Zum Beispiel dieses: Wer mit Hunden zu Bette geht, steht mit Flöhen auf. Oder: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Passen wie angegossen. Unsere Vorfahren entpuppen sich für mich als gewitzte Beobachter.

Altkanzler Gerhard Schröder und sein persönlicher Freund Erdogan

Bezeichnet beispielsweise der Altkanzler Gerhard Schröder den türkischen Ministerpräsidenten Reep Tayyip Erdogan als „seinen persönlichen Freund“, so gehe ich mittlerweile fest davon aus, dass die Sitten des einen in Bälde von dem anderen nachgeahmt werden. Erdogan hat beispielsweise die Gewohnheit, die türkischen Verbrechen gegen die Menschheit zu leugnen und die türkische Nation als die edelste und anständigste unter den Völkern der Erde zu präsentieren. Erdogans ganz persönlicher Edelmut äußerst sich etwa darin, dass er – um nur einen Beispiel vorzuführen – den vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Völkermordes angeklagten Präsidenten von Sudan Omar Hassan al-Bashir – den Schlächter von Darfur – unter seinen persönlichen Schutz nimmt. Gut, Schröder hat das noch nicht getan, aber er ist deutlich auf dem guten Weg. 2009 hat der Altkanzler – in der Rolle eines Wirtschaftslobbyisten – sich nicht nehmen lassen, dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad – seines Zeichens verbitterter und notorischer Holocaust-Leugner – einen Privatbesuch abzustatten, zum Ärger des Zentralrates der Juden in Deutschland und vieler anderen hier zu Lande. Worum es beim Treffen ging, wurde nicht bekannt, aber über die Presse erfuhr man, die Begegnung sei in einer sehr angespannten Atmosphäre verlaufen. Was auch immer das bedeuten mag. Seitdem ist allerdings viel Wasser den Rhein herunter geflossen.

Erdogan hat seinerseits mittlerweile ebenfalls die Angewohnheit, von großmächtigen Projekten zu träumen: einer türkisch-arabischen Union als Beherrscherin des Orients und als Gegenkonzept zur EU, einer friedlichen atomaren Macht Türkei mit modernen russischen Technologien, von Großbauprojekten wie dem eines neuen Istanbul außerhalb des alten Konstantinopel – als Visionenverströmer eben oder auch schlicht als Großredner von Düsseldorf. Die Auftritte des türkischen Ministerpräsidenten in deutschen Städten mit verzottelten Redebeiträgen zur missglückten deutschen Integrationsdebatte sind mittlerweile sagenhaft beeindruckend. Altkanzler Schröder hat ebenfalls viele große Reden geschwungen, noch bevor er Erdogan zu seinen persönlichen Freunden zählte. Die berühmteste war die nach seiner verlorenen Kanzlerwahl in der skurilen Elefantenrunde, als er trotz der Niederlage die Regierung stellen wollte. Gut, da war er auch außer Rand und Band und etwas benommen. Die Analogien lassen sich also nach Gutdünken fortsetzen. Auch wenn unser Altkanzler und sein persönlicher Freund trotz vieler gemeinsamer Interessen aus unterschiedlichem Holz geschnitzt sind und sich mannigfach hervortun, in einem Punkt haben sie sich aber offenbar geeinigt: Die Leugnung des Völkermords an den Armeniern. Sie sagen beide das zwar nicht so explizit, sind sich aber darin einig, die Anklage der Nachkommen der Genozidüberlebenden mit allen Mitteln abzuwenden.

Schröders Interview als Dienst an großen Ideen

Für einige mag das Interview des Altkanzlers recht pragmatisch geklungen haben – im Dienste großer Ideen –, für andere war es Bagatellisierung des türkischen Völkermords an den Armeniern. Für einige grenzte es an Genozidleugnung, was eine Anzeige verdient hätte; andere glaubten in den Worten des Altkanzlers den unanständigen, aber irgendwie doch noch verständlichen Wunsch eines Deutschen nach einem „Holocaust-Copyright“ zu erkennen. Wie dem auch sei, klar ist, dass diesmal in einer pervertierten Geschichtsdeutung die Armenier herhalten mussten – für den Altkanzler sicher kein herber Verlust im Angesicht seiner persönlichen Freundschaften und seiner Großmachtfantasien.

Zwar wird der türkische Völkermord an den Armeniern auch nach dem Propagandaauftritt eines ehemals führenden deutschen Politikers nicht zur Ansichtssache werden, doch dürften die Genozidleugner in Deutschland einen neuen prominenten Fürsprecher erhalten haben. Schröders persönlicher Freund Erdogan wird sich gewiss gebührend zu bedanken wissen. Kleine Geschenke erhalten eben die Freundschaft.

Von schwärmerischen Großmachtfantasien zur genozidalen Realität

Ob der deutsche Altkanzler Gerhard Schröder je den nationalsozialistischen Völkermord an den europäischen Juden, seine Mechanismen und Methoden, seine Beweggründe und seinen Zusammenhang recht verstanden hat, daran kann man mittlerweile mit Recht Zweifel anmelden. Eines jedoch hat der Gazpromlobbyist mit Sicherheit falsch erfasst: Eine Relativierung oder Verharmlosung des Völkermords an den europäischen Juden (Shoah) verhindert man nicht dadurch, indem man den Völkermord an den Armeniern (Mets Eghern, Aghet) relativiert und verharmlost. Der Altkanzler und sein persönlicher Freund Erdogan müssten sich schon andere Argumente einfallen lassen, die ihren Endabsichten gedeihlicher seien.

Wer aus dem Holocaust ein mystisches Ereignis macht, indem er berechnend an seiner Unerklärlichkeit und Unbegreiflichkeit festhält und andere Völkermorde als minderwertig abtut, der leistet seinen unheilvollen Beitrag dazu, das Völkermorde auch heute geschehen und dass es noch prominente Politiker gibt, die bereit sind, Massenmörder unter ihren persönlichen Schutz zu stellen.

23. März 2011

 

 

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