Eine Beschäftigung mit der Ungeheuerlichkeit des Völkermords ist auch über den Holocaust hinaus wichtig. Dies zeigen Schreckensmeldungen der Gegenwart. Im Bundestag beschlossen bereits 2005 alle im Bundestag vertretenen Parteien gemeinsam, der Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs solle in deutschen Schulen behandelt werden. Lehrer erhielten jedoch für eine Vorbereitung des entsprechenden Unterrichts kaum Unterstützung für die Arbeit mit der sensiblen Thematik. Das hat sich grundlegend geändert. Jetzt stehen auf dem deutschsprachigen Teil der Website www.armenocide.de übersichtlich gegliederte „Unterrichtsmaterialien über den Völkermord an den Armeniern“ kostenlos zur Verfügung. (Auf der Website finden Interessierte auch noch weitere Dokumente und Informationen über den Völkermord von 1915/16.) Erarbeitet hat das Materialpaket der Hamburger Historiker Dr. Jörg Berlin. Er hat sich mit dem Genozid seit Jahren auch wissenschaftlich beschäftigt. Hingewiesen sei nur auf den Band: „Völkermord oder Umsiedlung? Das Schicksal der Armenier im Osmanischen Reich.“ Im Unterrichtsmaterial werden zu wichtigen Aspekten des Genozids meist mehrere Texte und Abbildungen bereitgestellt. Besonders zu nennen sind die Kapitel über die Leiden der Opfer, die Motive von Drahtziehern und Tätern, die Mitverantwortung des deutschen Reiches sowie insbesondere die Texte über türkische Helfer und Retter. Für Lerngruppen mit türkischen oder muslimischen Schülern empfiehlt der Herausgeber der Unterrichtsmaterialien mit diesem Aspekt zu beginnen, um Empfindlichkeiten möglichst vorzubeugen und positive Identifikationen zu ermöglichen.
Die Texte, Bilder, Karten und Diagramme sind nach dem Baukastensystem gegliedert. Inhalte und Schwerpunkte der Kapitel werden jeweils durch eine prägnante „Einleitung“ erläutert. Ausdrücklich ist nicht dran gedacht, das gesamte Angebot zu nutzen. Für den Unterricht ist eine Auswahl zu treffen. Eine stärkere Vorauswahl hätte die Möglichkeiten des Einsatzes in verschiedensten Fächern und Lernarrangements beschnitten. Lehrerinnen und Lehrer können sich aber ohne Aufwand für ihren Unterricht passende Materialien ´herauspicken´.
Die Überschriften der einzelnen Texte geben absichtlich nicht bereits deren Inhalt wieder, denn diesen sollen die Schüler erarbeiten. Um dem Lehrer trotzdem, den erforderlichen Überblick für die unumgängliche Auswahl zu erleichtern, stehen zur ersten Orientierung gesondert vor den Überschriften der Texte einige Hinweise zu deren Inhalt. Durch die Anlage als eine Art ´Loseblattsammlung´ sind eine kleinschrittige Herangehensweise sowie multiperspektivische und methodisch vielfältige Zugänge zum Geschehen und dessen Ursachen möglich. Neben Texten zum Ablauf des Völkermords gibt es, wie erwähnt, zahlreiche Belege, die den Widerstand von türkischen Beamten und Bürgern gegen die Ermordung ihrer christlichen Mitbürger dokumentieren. In der Türkei, dem Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches, scheint sich immer mehr die Erkenntnis durchzusetzen, dass eine Anerkennung des Völkermordes dem Ansehen des Staates nicht schadet, sondern nützt. Auch dies unterstreicht, dass eine Herausgabe solcher Unterrichtsmaterialien längst überfällig war.